ORAZI (1906-1979) zeichnet sich aus sowohl für sein selten kreatives Talent, seine gewaltige und solide Bildung, seine wahrhaft humanistische, im raffinierten Klima der europäischen Kultur des Anfangs des 20. Jahrhunderts wurzelnde Ausbildung, aber auch für seine technischen Kenntnisse im Bereich der Malkunst. Gewandt in den klassischen Studien und in der Literatur, in der altertümlichen Ästhetik, in Geschichte, in der Geschichte der Philosophie, in Musik (in seiner Jugend ist er auch als Pianist und Komponist tätig), nimmt er sich der Studie der Malerei seit der Sekundärschule an: diese kulturelle Basis ist die Grundlage für alle seine zukünftigen Erfahrungen. Kunst und Malerei sind seine Berufung, seine Leidenschaft und seine einzige Lebensaufgabe, wie die Kunstkritikerin, Hélène Parmelin in ihrer Lobrede auf ORAZI hervorhebt, die sie für seine 1980 Postmortem Ausstellung in der “Galerie 222” in Paris schrieb: «Wie sollen wir über diesen unvergesslichen Künstler sprechen? Wie können wir die Vitalität seiner Intelligenz beschreiben… Maler- Über Maler. Es gab nur eine einzige Leidenschaft, der er sich widmete.... der Malerei. Ein einziges Abenteuer nahm ihn voll und ganz in Anspruch, die Malerei. Die Malerei war seine Lebensart, sein Herr und Gebieter. Sein Lebensatem und seine Berufung.»
Der Name, den er während seiner Karriere annimmt, ist lediglich ORAZI. Ein Name, der sich direkt vom römischen Altertum ableitet; ein Name, der seit dem 17ten Jahrhundert durch die Kunstgeschichte schweift und der von einigen Persönlichkeiten vom Herzen Italiens und bis nach Frankreich angenommen wurde.
Er hält sich gegen Ende der zwanziger Jahre in Venedig auf, in diesem internationalen und faszinierenden Wirkungskreis, der durch Künstler wie Filippo De Pisis und Leonardo Dudreville geprägt wurde: er integriert sich hervorragend in diesem Umfeld und der letztere malt schließlich, im Jahre 1927, von ihm ein großartiges Porträt. Man ist sich gewiss dass ORAZI an der Biennale im Jahre 1934 teilgenommen hat. Er zieht von einem Ort zum anderen, gierig nach neuen künstlerischen Erfahrungen, und lässt sich letztendlich vom Jahre 1932 an in Paris nieder.
Gleichzeitig arbeitet er in Mailand. Werke dieses ersten bildlichen Zeitalters, die in mailändischen öffentlichen Sammlungen bewahrt wurden, zeigen, dass er sich behaupten kann: zum Beispiel das Porträt zum Gedenken an Teresa Vanoni Viglezio, deren Ausführung ihm im Jahre 1936 durch den künstlerischen Verbund “Ospedale Maggiore” beauftragt wird; und das Porträt von Totò Grugnola von 1937, für das die Stiftung “Trivulzio”, die junge Künstler unterstützt, ihm eine zu dieser Zeit beträchtliche Summe von 2.400 Lira zahlte. Weiterhin nimmt er in Rom, im Jahre 1935, an der zweiten Ausstellung der “Quadriennale d’Arte Nationale” teil: seine Teilnahme wird mit dem Bild Sieste oder Jeune femme qui repose avec son chat (Frau die mit ihrer Katze ruht) dokumentiert, aus dem Jahre 1934, das im Jahr 1935 von der “Kunstgalerie ” in Udine erworben wurde.
Sein Atelier hat er in Paris, Montparnasse etabliert im Jahr 1934. Dies ist auch die Anschrift, die er bis zum Ende seines Lebens behalten hat. Er beteiligt sich an dem ausgiebigen, intellektuellen Leben in diesem Quartier, das sich ab den zwanziger Jahren zum Treff- und Ausgangspunkt der neuen künstlerischen Ideen etablierte. Im Jahre 1938 stellt er seine Werke im zweiten Salon der jungen Künstler aus, der sich in der Galerie “deParis” befindet, im Stadtteil Faubourg Saint-Honoré. Am Tag der Befreiung, nach den anti-faschistischen Widerständen, schließt er sich den neugeborenen Künstlern des Salon de Mai, einer jährlichen Ausstellung, an, die zunächst in der Galerie “Maurs” und danach in Faubourg Saint-Honoré in der Galerie “Arts” ausstellen: er präsentiert seine Werke regelmäßig bis zu seinem Tod in den Sälen des “Palais de Tokio”, und wird somit historisches Mitglied des Museums.
Die aus dieser Zeit stammenden Werke (um 1935-1948) - Stillleben, Landschaften, Portraits - lassen ganz klar die kennzeichnenden Züge seiner Malkunst erkennen, die geprägt ist von seiner Verbundenheit mit den historischen Avantgarden, aber auch mit den wichtigsten Künstlern des Post-Impressionismus. In seinen Porträts und Landschaften kristallisiert sich die Linie der Formen heraus, die Farbe nimmt einen übergeordneten Rang in der physischen Vertretung ein: dies lässt auf die Vorbereitung auf die zwanglose Periode schließen. Man erkennet es zum Beispiel in der : Paysage Méditerranéen (Mittelmeerlandschaft) , aus dem Jahre 1950, die in rosa Tönen gehalten wird, und einem Werk ähnelt, das im Jahre 1953 von der damals existierenden Zeitschrift Les lettres françaises, des wichtigsten französischen Kunst- und Kulturberichts, veröffentlicht wurde.
Ab dem Ende der vierziger Jahre nahm ORAZIS künstlerische Laufbahn eine selbstständige und gewiß originelle Richtung ein. Bezeugt wird dies von seiner Malerei der Bewegung (um 1948-1952 ), deren dynamische Effekte großes Interesse bei der damaligen Presse hervorriefen. ORAZI wird ferner durch sein Werk “Corrida”gezeichnet, das im “Salon de Mai” im Jahre 1949 ausgestellt wurde: die Pariser Zeitschrift Les Lettres Françaises schrieb unter dem Pseudonym Jean-Pierre des Kritikers Pietri den Artikel «ORAZI’s Werke Bestimmen das Leben». Es wurden zwei seiner Werke der Bewegung gedruckt, und man kündigte seine nächste Ausstellung im Salon d’Automne an. Folgende Abschnitte diese Artikels sind wesentlich: «Durch eine Konstruktion aus Spiralen… dank einer einleuchtenden Verteilung der Farben, Dynamik oder Statik zwingt ORAZI den Blick einem Weg in die Unendlichkeit zu folgen, der gleichzeitig die Geburt und die Entwicklung der Bewegung darstellt…. die Bewegung ist seine Leidenschaft… die Malerei bewegt.» Im Jahre 1950 zeichnet er sich erneut im Salon de Mai aus, wo er das Gemälde Rom offene Stadt präsentiert, das an die Konfrontation der römischen Bevölkerung und der Nazis während der Tage der Befreiung erinnert , und das die Idee zum Films von 1945, von Roberto Rossellini erweckt. Die Zeitschrift Les Lettres Françaises druckte seine Werke im Großformat und bindet den Namen ORAZI an jenen von Pignon, der danach einer seiner lebenslangen Freunde sein sollte. Die plastische Durchdringlichkeit seiner Kunstwerke erreicht nochmals die Aufmerksamkeit des Kunstkritikers Jean-Pierre, der ORAZI beschreibt als «der einzige Freskenmaler unserer Zeit, der es schafft den großen historischen Gemälden nahe zu kommen. Seine Werke liefern uns neue Elemente: die Bewegung und den Sinn der menschlichen Gruppe.» Aus der künstlerischen Kritik dieser Zeit leitet sich dann auch die Bezeichnung der Periode Malerei der Bewegung ab. Die Kraft der Farbe, die das Leben sowie die menschliche Geste ausdrückt, charakterisieren die Darstellung der Bewegung in ihrer Entstehung in der Malerei der Bewegung , wie zum Beispiel im Temperagemälde “Les footballeurs” (Die Fußballspieler). Die Malerei der Bewegung wird sich um Persönlichkeiten des Zirkus bereichern - Clowns, Reiter, Ballerinen, eine Gruppe von Gemälden die während seiner persönlichen Ausstellung in 1954 in der “ Bernheim Galerie” in Paris ausgestellt wurden. Im Rahmen dieser bildlichen Erfahrung, werden auch faszinierende historische Schlachten und Militäreinsätze abgehandelt, von denen einige im Salon de Mai in Paris im Jahre 1955 und in der Galerie “L' Annunciata” in Mailand im Jahre 1959 ausgestellt wurden.
Die Leidenschaft für die Landschaft und die physische Demonstration der Kraft einer stets wandelnden Natur der Erde, gibt ORAZI nie auf. Während dieser selben Jahre werden Forschungsarbeiten ihn in entfernte Regionen bringen, dort, wo die Landschaft noch unberührt ist, dort, wo der Mensch noch einer überlieferten Tradition und den antiken Rhythmen folgt: Sardinien und Mexiko. Diese Aufenthalte von 1953 bis 1957, wo er seine andere Fähigkeit als Fotograf ausweitet, führen zu zwei Serien von Gemälden die außerordentlichen Atmosphären Ausdruck geben, und eine essentielle Natur und die dort lebenden Menschen abbilden. Eine Serie dieses Zyklus aus Sardinien ist kürzlich durch die Gemeinde von Gavoi in Barbagia erworben worden. Die Malereienaus Mexiko Zyklus wurden in Paris im Jahre 1957 in der “Galerie Vendôme” ausgestellt. Die Leidenschaft für die Landschaft bringt ORAZI erneut nach Paris zurück. Paris, eine sich wandelnde Stadt, und die in den manchmal gewalttätigen Worten der Moderne, einige von seinen historischen Zügen schwinden sieht. Hier entstehen die Malereien des Pariser Zyklus, umwerfend und melancholisch in ihren Eigenschaften: die Aussicht von Montparnasse, große Häuserblocks und kleine Künstlerstraßen, und insbesondere die Ufer der Seine mit ihren neuen Vierteln durchzogen von Baustellen und Kränen, deren vertikale Linien mit jenen der Hausboote kontrastieren, den Symbolen der Vergangenheit. Mehrere von diesen Malereien, die in Galerie “L' Annunciata” in Mailand im Jahre 1959 ausgestellt wurden, kündigten bereits den ORAZI - Bruch mit der klassischen bildlichen Erfahrung an.
Vom Ende der fünfziger Jahre an wendet sich die ORAZI-Malerei in der Tat entschlossen der informellen Dimension zu: eine Dimension in der seine Empfindlichkeit für die Farbe einen faszinierenden Ausdruck findet. In diesem bildlichen Zusammenhang organisiert er seine persönliche Ausstellung in der “Galerie 7” in Paris im Jahre 1961, die sich die Lobreden der Kritiker verdiente.
Ab dem Ende der fünfziger Jahre wandte sich ORAZI entschlossen der informellen Malerei und dem komplexen Bereich der Relief-Malerei zu, die, im Hinblick auf die Kreativität des Künstlers, mit einem starken Begriff bezeichnet werden kann, nämlich Malerei der Materie oder Malerei im Relief. Die Werke dieser Phase sind in verschiedenen Salon de Mai in Paris und sogar in Tokio ausgestellt worden, so wie auch in vielen anderen Gemäldehallen, von denen man die persönliche Ausstellung in Paris 1966, in der “Galerie du Passeur” hervorheben sollte. Die Natur - ihre Elemente, ihre Formen, ihre Phänomene - liegt stets seinen Werken zu Grunde. Die Form leitet sich aus dem Rahmen des Gemäldes ab, und die Farbe trägt dazu bei, es zu definieren; das Material, das Relief, werden die Träger der Farbe. Die Kritik zu dieser Zeit ist sehr positiv, wie es ein Artikel von Raoul-Jean Moulinbeweist: «… der Maler prüft den Stein, die Pflanze, die Luft, das Licht… Momente der Entstehung des Universums.» Oder wie Georges Boudaille sich ausdrückt: «Das Material hebt sich teils wie die Erdkruste, manchmal wie eine Blüte, Formen wuchern, bis zu den Grenzen des Gemäldes, um in den Raum einzudringen… dies sind Landschaften, aber auch vulkanischen Lava, Baumstümpfe bis zu den Felsen von den Bergen.»Es ist eine Periode großer intellektueller Intensität (1958-1968 etwa) die in vollem Umfang die erstaunliche ORAZI-Einbildung enthüllt, sowie seine Beherrschung der Techniken und seine Leidenschaft für die Farbe.
ORAZIS Malerei im Relief bezeugt eine starke Neigung zur kreisförmigen Konturzeichnung der Formen, die bereits seine letzte Stilrichtung andeutet , die als Kreislinienzeichnung bezeichnet wird (1969-1977): sie entspricht den letzten Jahren seines Lebens, den Jahren, in denen die Kräfte nachlassen und die Malerei der Materie seine zwingende Anstrengung verlangt. Von nun an besteht kein Zeichen mehr von der starken und durchdringlichen Darstellung der natürlichen Dimension, sondern er widmet sich den anderen Weiten unseres Universums, der Harmonie, der Geburt und der Rhythmen des Planeten, der Weite des Firmaments, dargestellt durch schwellende und zarte Farben, die sehr definiert sind. Auf diesen bildlichen Zeitraum im übrigen konzentrierte sich die Ausstellung von 1980, aufgrund deren die Kritikerin Hélène Parmelin ihre Lobrede auf ORAZI vorschlug, wie zitiert wird: «in ihren Schriften zeigt sie die Persönlichkeit dieses einsamen Künstlers, der freiwillig außerhalb dieser vergänglichen Szene lebt, der niemals neidisch ist, niemals verbittert ist in seiner stolzen Zitadelle der Malerei.» Es sind Züge, die im letzten ORAZI-Schriftstück wiedergefunden werden können, eine metaphorische Erzählung, fern von Zeit und Umständen, die im Jahre 1974 von dem Pariser Verleger Christian Bourgois veröffentlicht wurde: auf dem Einband wurde das Bild der Persönlichkeit dieses Buches reproduziert, das einer Gruppe von Werken der Kreislinien angehört, in denen sich aus “Landschaften- Köpfe” erheben.
Die Landschaft ist eines der wiederkehrenden Elemente der Werke ORAZI - sowohl jener seiner Jugendjahre als auch jener seiner späteren Recherche - wobei die Erde im wesentlichen ihrer Formen und Farben, ihrer Großzügigkeit und ihrer Sänfte erfasst wird.
Francesco Negri Arnoldi, Historiker der Kunst, Rom
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